Faust und Mephisto

Warum wir MEPHISTO heißen und was bedeutet das?

MEPHisto (Modelle, Erklärungen und Prozesse in den historischen Wissenschaften/Modells, Explanations and Processes in the historical sciences) ist eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie besteht vor allem aus Informatikern (Schwerpunkt KI-Forschung) und Historikern (Schwerpunkt Mittelalter). MEPHisto ist nicht nur ein Akronym, sondern auch unser inhaltliches Programm.
Faust und Mephisto
Bild: Anton Kaulbach, Public domain

Meldung vom: | Verfasser/in: Robert Gramsch-Stehfest

Mephistopheles:
Ich bin keiner von den Großen;
Doch willst du, mit mir vereint,
Deine Schritte durchs Leben nehmen;
So will ich mich gern bequemen
Dein zu sein, auf der Stelle.
Ich bin dein Geselle
Und, mach’ ich dir’s recht,
Bin ich dein Diener, bin dein Knecht! (…)
In diesem Sinne kannst du’s wagen.
Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
Mit Freuden meine Künste sehn,
Ich gebe dir was noch kein Mensch gesehn.

Faust:
Was willst du armer Teufel geben?
Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
Von deines Gleichen je gefaßt?
Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast du rotes Gold, das ohne Rast,
Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt (…)
Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen;
So sei es gleich um mich getan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
Dass ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuss betrügen;
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet’ ich!

Mephistopheles:
Top!

Faust:
Und Schlag auf Schlag!

Goethe: Faust I. Verse 1641-1698

Papst Silvester II. mit dem Teufel Papst Silvester II. mit dem Teufel Illustration: Public Domain

Teufelspakt des Wissenschaftlers

Die Geschichte vom Paket des Wissenschaftlers mit Mephisto ist alt. Lange vor dem Erstdruck von Goethes „Faust. Tragödie erster Teil“ (1808), lange vor der Geburt des historischen Doktor Faustus (um 1480), hat man sie schon über Gerbert von AurillacExterner Link (um 950 bis 1003) erzählt, der als Silvester II. 999 den Papstthron bestieg. Gerbert war einer der größten Mathematiker seiner Zeit, er hat den Abakus im christlichen Abendland heimisch gemacht, mit dem die Geschichte der Rechenmaschinen in Europa beginnt. Seinen staunenswerten Aufstieg aus einfachen Verhältnissen, seine an Magie grenzende Rechenkunst, konnten sich missgünstige Zeitgenossen nur als Gabe des Teufels (Mephisto) erklären – im Tausch gegen die unsterbliche Seele des Gelehrten.

Angesichts des heutigen Disputs zwischen den Adepten der Digital Humanities und den Verteidigern traditionellen Forschens, denen der Computer allenfalls ein neuartiges Lese- und Schreibmedium, aber kein Denkwerkzeug ist, erscheint der Dialog zwischen dem Verführer Mephistopheles und dem mit der Begrenztheit seines Wissens hadernden Doktor Faust im neuen Licht: Der Computer ist dem Forscher Diener und Geselle, er lässt ihn bisher ungeahnte Wunder schauen. Was aber soll ein so beschränktes Werkzeug, dem kein menschlicher Geist innewohnt, ihm schon bieten können, repliziert Faust, außer „rotes Gold“, Talmi und Glitter – schön anzusehen, aber als Erkenntnis wertlos? Doch überwältigt ihn letztlich die Neugier, auszuprobieren, was LuziferExterner Link (wörtlich: der Lichtträger) zu bieten hat – so gefährlich dieser „faustische Pakt“ auch immer sein mag. Goethe lässt für uns keinen Zweifel: Diese Offenheit ist zu bejahen, sie ist eines wahren Forschers würdig und einem zweifelnden Konservatismus vorzuziehen, der vor dem Neuen, Unbekannten zurückschreckt und es von vornherein verdammt.

Homunkulus in der Phiole. Famulus Wagner und Mephistopheles. Homunkulus in der Phiole. Famulus Wagner und Mephistopheles. Bild: Franz Xaver Simm (1853-1918), Public domain, via Wikimedia Commons

Mephisto – Mehr als eine Abkürzung

In diesem Sinne ist MEPHisto mehr als eine bloße Abkürzung, es ist ein Bekenntnis dazu, Geschichtswissenschaft und Informatik, Geist und Technik, zusammenzuführen und zu erproben, was in dieser Allianz möglich ist: „L’historien de demain sera programmeur ou il ne sera plus.“ prophezeite der Historiker Emanuel Le Roy LadurieExterner Link schon 1968, in einer Phase erster Euphorie über die Verheißungen der neuen Technologie. Tatsächlich muss der Historiker nicht zum Programmierer werden, um künftig seinem Metier nachgehen zu können. Er sollte aber zur Kenntnis nehmen, dass digitale Werkzeuge und quantifizierende Verfahren sein Methodenarsenal wesentlich erweitern und bereichern können. Er sollte sich mit den neuen Methoden und Konzepten vertraut zu machen, um sich ihrer autonom und umsichtig bedienen zu können. Doch auch der Informatiker hat in diesem Pakt seine Begehrlichkeit – nämlich die „Seele“ des Historikers besser zu erfassen: Dessen spezifisch hermeneutische Herangehensweise kennenzulernen, digital nachzubilden und zu unterstützen, sind Bausteine zur Entwicklung jenes Homunkulus, der sich heute Künstliche Intelligenz nennt. Und so sollten Informatiker und Historiker gemeinsam daran arbeiten, digitale Methoden und Arbeitsprozesse zu entwickeln, die den „Geist in die Maschine“ zu bringen vermögen. Es steht zu hoffen, dass diese digitale Forschung weit mehr als nur flüchtiges „rotes Gold“ hervorzubringen vermag!